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Brettspiel über das letzte Abendmahl Weg da, ich will neben Jesus sitzen!

Es ist das Jahr 33. Jesus, die Apostel und sonstige Anhänger kommen zum letzten Abendmahl zusammen. »Ierusalem Anno Domini« macht aus der biblischen Geschichte ein Brettspiel. Darf das Spaß machen?
Viel los auf dem Brett: Jesus im Kreise seiner Apostel und Jünger

Viel los auf dem Brett: Jesus im Kreise seiner Apostel und Jünger

Foto: Maren Hoffmann / DER SPIEGEL

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Petrus ist nicht ganz so toll wie Jesus, aber ein bisschen cooler als Johannes. Und Jakobus der Ältere oder Bartholomäus? Na ja, neben denen will man eigentlich nur sitzen, wenn nirgendwo sonst frei ist. Über Judas müssen wir gar nicht reden, der bringt Minuspunkte.

Ich klebe den kleinen Dornenkronen-Aufkleber auf den Gerichtsmarker und frage mich: Darf man das? Aus dem letzten Abendmahl, einer der Kerngeschichten der christlichen Glaubenswelt, ein Brettspiel machen? Bei dem man gegeneinander spielt und am Ende gewinnt, wenn die eigenen Jünger möglichst nahe an Jesus und den besten Aposteln sitzen?

Das geht auch meinen beiden Mitspielerinnen so: Das Thema fühlt sich an, als könne jeden Moment ein Tabu verletzt werden. Aber das ist Quatsch. »Ierusalem« ist einfach ein Brettspiel mit einem unverbrauchten Thema, dessen sich die Autorin Carmen García Jiménez mit viel Recherchetiefe und guten Spielmechaniken angenommen hat.

Es ist das Erstlingswerk der spanischen Theologiestudentin, die sich nach eigenem Bekunden das Ziel gesetzt hat, zu unterhalten, zum Nachdenken anzuregen und »auch ein wenig mehr über den Mann zu erfahren, der die Geschichte für immer verändert hat«.

Das Abendmahl wird hier nicht als geschlossene Veranstaltung inszeniert, bei dem Jesus und die Apostel allein im Separee sitzen. Alle Mitspieler steuern je eine Gruppe von Jesus-Anhängern, die mit von der Partie sein wollen.

Die meisten Siegpunkte bekommt man über eine geschickte Platzierung der eigenen Figürchen an der Tafel: Direkt bei Jesus gibt es die meisten Punkte, aber auch Apostel punkten. Damit wir aber überhaupt Platz nehmen dürfen, müssen wir (meist) bezahlen: Fisch, Brot und Steine sind unsere Ressourcen, die wir in einem anderen Bereich des Plans mit unseren Figuren einsammeln können.

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Das Spiel bietet eine überbordende Fülle an Optionen und eignet sich deshalb nicht für Leute, die alles jenseits von Uno und Mensch-ärgere-dich-nicht für überkomplex halten. Aber die Züge selbst sind erfreulich klar strukturiert: Man spielt eine Karte, führt alle Aktionen aus, die darauf zu sehen sind, guckt, ob man einen Apostel an die Tafel setzen kann, und kauft eventuell noch eine bessere Karte für den nächsten Zug. Fertig. Die Kunst ist es, die richtige Karte zur richtigen Zeit auszuspielen, Aktionen klug zu wählen und taktisch zu planen.

Was das Spiel so elegant macht, ist die thematische Entwicklung, die untrennbar mit der Mechanik verwoben ist. Je besser die Karten sind, die allmählich ins Spiel kommen, desto schneller wandert der Gerichtsmarker nach oben, der das Spielende auslöst: Der Hohe Rat der Stadt wird immer nervöser, je mehr Zulauf Jesus hat – und beschleunigt dessen Verurteilung.

Zugleich wird es an der Tafel des Abendmahls immer bunter und belebter. Alle drängen sich um Jesus, die Plätze neben Judas bleiben frei. Die Interaktion zwischen den Spielenden ist fein dosiert: Um tolle Karten zu bekommen, muss man den anderen auch mal Geschenke machen, aber man achtet natürlich darauf, dass diese Gaben dem anderen möglichst nicht allzu viel nutzen. Und an der Tafel werden die Jüngerchen munter umhergeschoben, Plätze getauscht, eifrige Anhänger näher zu Jesus geschoben und Apostel strategisch platziert.

Das Spiel endet, wenn der Gerichtsmarker mit der Dornenkrone das Ende seiner Leiste erreicht hat: Das Urteil ist gefallen. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die Kreuzigung ist nicht mehr Thema des Spiels, wir hören mit der voll besetzten Tafel auf und zählen unsere Punkte.

»Ierusalem« inszeniert die biblische Geschichte als das, was sie ist: eine Geschichte. Das Spiel beschreibt, wie sich ein letztes Abendmahl zugetragen haben könnte, frei von Glaubenssätzen. Kann das Spiel religiöse Gefühle verletzen? Das kann ich, ehrlich gesagt, schwer beurteilen, weil ich keine religiösen Gefühle habe. Es ist aber kein Spott im Spiel zu finden, keine Verhohnepipelung wie etwa »Das Leben des Brian«. Der theologische Hintergrund der Autorin legt auch einen gewissen Respekt nahe – es fühlt sich dennoch auf der anderen Seite überhaupt nicht missionarisch an. Mich beeindruckt, wie unbeschwert die Autorin die alte Geschichte in ein packendes Spiel übersetzt hat. Das ist großes Spieltisch-Kino, und es hilft beim Eintauchen ins Thema, dass die Anleitung viele passende Bibelzitate und Hintergründe mitliefert.

Bis zu vier Personen ab zwölf Jahren können mitspielen; die erste Partie dauert etwas länger als die auf der Schachtel angegebenen 90 Minuten, aber wenn man die Regeln einmal gelernt hat, spielt es sich überraschend flüssig. Eine Solokampagne bietet die Option, auch allein gegen das Spiel anzutreten – dann versucht man, mehrere Partien mit steigendem Schwierigkeitsgrad zu bewältigen.