Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule begleiten, sind manchmal besorgt, dass auf dem Weg
dorthin etwas passieren könnte. Die Kinder sehen dies jedoch ganz anders: Sie erleben den
Schulweg als einen Schritt in die Selbständigkeit. Ausserdem ermöglicht er ihnen die Sozialisierung
und trägt zu ihrem Wohlbefinden bei. Dies geht aus einer vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF)
unterstützten interdisziplinären Studie* hervor, in der die Kinder für einmal selber zu Wort kommen.
"Der Schulweg ist mehr als ein Standortwechsel von A nach B", erklärt Zoe Moody,
Professorin an der Pädagogischen Hochschule Wallis und Forscherin an der Universität Genf. Er
biete Kindern, die zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem Trottinett unterwegs sind, nicht nur die
Gelegenheit, sich an der frischen Luft zu bewegen. Sie könnten dabei auch ohne Eltern oder
Lehrpersonen mit anderen Kindern zusammen sein. Der Weg sei ein Raum für informelles Lernen,
Kreativität und Interaktionen mit der Umwelt. "In dieser Zeit können die Kinder Konflikte austragen
und sich Geheimnisse anvertrauen. Sie entwickeln gemeinsame Routinen und fordern sich
gegenseitig heraus. Sie werden selbstständig, indem sie ihren eigenen Weg und ihr eigenes Tempo
bestimmen können, denn ihre einzige Vorgabe ist, pünktlich im Schulzimmer zu erscheinen.
Manchmal brechen sie sogar gewisse Regeln, indem sie zum Beispiel über Privatgrundstücke laufen.
So lernen sie auf dem Schulweg, Teil der Gesellschaft zu werden, und zwar eigenständiger als auf
dem Pausenplatz, wo es eine Aufsicht durch Erwachsene gibt", ist die Forscherin überzeugt.
Einer der letzten Freiräume
Aus all diesen Gründen kann es für Kinder sehr sinnvoll
sein, wenn sie den Schulweg selber zurücklegen und sich unterwegs vielleicht sogar etwas mehr Zeit
nehmen dürfen. "Das ist wahrscheinlich einer der letzten Freiräume", sagt Moody. Ein Raum, in dem
sie nicht mehr nur Kind und noch nicht ganz Schülerin oder Schüler sind - und umgekehrt.
Die Forscherin vergleicht die Freiheit, die Kinder auf dem Schulweg haben, mit der Zeit, die sich
Erwachsene manchmal in einem Café nach der Arbeit und vor der Rückkehr nach Hause gönnen.
"Das ist das Konzept des Dritten Ortes, das 1989 vom Soziologen Ray Oldenburg entwickelt wurde",
erklärt sie. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlt, sich entspannt und mit anderen Menschen
zusammenkommt. Auch Bars, Bibliotheken, Sporthallen oder Parks erfüllen diese Funktion.
Die Kinder erzählen
Die Studie zum Schulweg wurde mit 71 Kindern im Alter von 8
bis 12 Jahren durchgeführt, die ohne Begleitung von Erwachsenen zur Schule gehen. Die Kinder
leben in Städten, Agglomerationen, auf dem Land und in Bergregionen der Kantone Graubünden,
Tessin und Wallis, womit verschiedene Kontexte und Erfahrungen auf dem Schulweg analysiert
werden konnten.
Die Forschenden setzten mehrere partizipative Methoden ein. Zuerst führten
sie jeweils Interviews mit den Schulleitungen und verteilten Fragebögen an die Eltern der Kinder, um
mehr über den Kontext der einzelnen Fallstudien in Erfahrung zu bringen. Anschliessend zeichneten
die Kinder ihren Schulweg für die Forschenden, die sie danach auf diesem Weg begleiteten und
befragten. Schliesslich baten die Forschenden die Kinder, ganz unterschiedliche Bilder von
Schulwegen bestimmten Kategorien zuzuordnen. So konnten sie herausfinden, welche Elemente die
Kinder am stärksten mit Wohlbefinden verknüpfen.
Dies ist denn auch das Besondere an
dieser Studie: Sie lässt Kinder, die Schulwege eigenständig zurücklegen, selber zu Wort kommen.
"Bisher wurde der Schulweg hauptsächlich aus der Perspektive von Erwachsenen oder für Studien
zur Verkehrssicherheit untersucht", erklärt Moody.
Pressekontakt:
Zoe Moody
Pädagogische Hochschule Wallis
Av. du Simplon 13 |1890 St-Maurice
Tel.: + 41 27 606 96 41
E-Mail: zoe.moody@hepvs.ch