Hohe Belastung wird bagatellisiert
Offenbar wird Mäusen die Fähigkeit zu leiden nur
eingeschränkt zugesprochen, denn ihre Belastung wird in Forschungskreisen systematisch
verharmlost. Beispiel hierfür ist etwa die Vasektomie (Unterbindung), die vom Gesetz her bei Mäusen
und Ratten als Schweregrad 1 gilt, bei allen anderen Tierarten wie Kaninchen oder Hamstern aber als
Schweregrad 2. Umso bedenklicher ist, dass sich der Anteil der mittel- und hochgradigen
Belastungen bei Mäusen seit 2002 mehr als verdoppelt hat und 2021 auf schockierende 46% anstieg
(Graphik 1). Insgesamt litten 23'000 Mäuse 2021 in Versuchen mit höchstem Schweregrad 3 - ein
neuer Rekord! Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz kritisiert: "Es ist unfassbar, was die Mäuse in
den Experimenten erdulden müssen."
Reizarme Haltung macht die Mäuse krank
Damit nicht genug: Auch die eintönige Laborhaltung belastet die Mäuse stark, wie eine neue
Studie aus Kanada zeigt. Sie verglich die Haltung in reizarmen Käfigen mit derjenigen unter
angereicherten Bedingungen. Mäuse in Standardkäfigen wiesen eine schlechtere Gesundheit und
erhöhte Sterberaten auf. Die Schweizer Laborhaltung ist im Vergleich dazu kaum besser. Daraus
lässt sich schliessen, dass die Mäuse auch hierzulande durch die reizarme Haltungsumwelt krank
werden. Nadja Brodmann folgert: "Die Mäuse leiden doppelt - tagtäglich unter der miserablen Haltung
und zusätzlich unter besonders schlimmen Eingriffen."
Pro Maus die Fläche eines
Handybildschirms
Im Labor werden die Mäusekäfige wie Schuhschachteln in Regalen
übereinandergestapelt. Kein Tageslicht, keine Verstecke, nichts zum Nagen und Graben - nur der
Gitterdeckel zum Klettern und ein Kleenex-Tüchlein als Nistmaterial. Kein Wunder werden die Tiere
krank oder entwickeln mangels Beschäftigung Verhaltensstörungen. Die vorgeschriebene Fläche pro
Tier ist so gross wie ein Handy-Bildschirm (10x10 cm2) und damit neunmal kleiner als was für
Farbmäuse in Privathaltungen vorgeschrieben ist. Zusätzlich werden die Mäuse auch durch das
Handling gestresst, etwa das Hochheben am Schwanz. "Viele Forschende sind blind für das
alltägliche Tierleid im Labor, sie erachten diese Art von Haltung und Handling als normal", so
Brodmann.
Mäuse sind keine Wegwerfware
Ebenso stören sich Forschende
kaum daran, dass von der bereitgestellten Million Mäuse 2021 nur knapp 370'000 in einem Versuch
eingesetzt wurden. Knapp zwei Drittel (700'000) wurden als überzählig getötet. All diese Mäuse
haben umsonst in den reizarmen Laborkäfigen gelitten. Von den genetisch veränderten Tieren sind
80% überzählig (Graphik 2). Der Hauptgrund für ihren sinnlosen Tod: Die genetischen Merkmale
passten nicht zur Versuchsanordnung. Hier zeigt sich erneut, dass Labormäuse nicht als
leidensfähige Lebewesen, sondern als Verschleissmaterial betrachtet werden.
Auch
Labormäuse haben ein Recht auf tiergerechte Haltung
Ob Studien aus reizarmer
Laborhaltung sinnvolle Ergebnisse liefern, ist höchst umstritten. Angst, Schmerz und Stress können
sich negativ auswirken und die Aussagekraft mindern. "Eine tiergerechte, gut strukturierte Haltung mit
viel Platz und genügend Einstreu wäre zielführender", ist Nadja Brodmann überzeugt. "Der Zürcher
Tierschutz fordert daher eine schrittweise Umstellung auf tiergerechte Haltungsformen und dass
bereits die Standard-Laborhaltung als Belastung vom Schweregrad 1 eingestuft wird. Sowohl für die
Tiere als auch für den Forschungsfortschritt ist die angereicherte Haltung ein Muss. Alles andere ist
eine Verschwendung von Steuergeldern", so Brodmann.
Pressekontakt:
Nadja Brodmann
Zoologin & Geschäftsleitung Zürcher Tierschutz
044 261 43 36 | 079 334 91 70
nbrodmann@zuerchertierschutz.ch