Die durch Leihgaben erweiterte Sammlungspräsentation stellt weibliche Perspektiven in den
Mittelpunkt. Die thematische Ausstellung bricht mit einer konventionellen Leseart von
Schlüsselpositionen in der Sammlung. Werke von Richard Serra, Martha Cunz, Per Kirkeby, Johanna
Nissen-Grosser und Nam June Paik erhalten durch Arbeiten von Marion Baruch, Uriel Orlow, Sherrie
Levine und Sturtevant einen neuen Dreh.
Richard Serra gilt als Schwergewicht. Nicht nur,
was seine Rolle in der Kunstgeschichte betrifft – auch seine Skulpturen sind, wortwörtlich,
tonnenschwer. Der Name von Marion Baruch hingegen dürfte nur Wenigen bekannt sein. Wie viele
Künstlerinnen wurde sie erst im hohen Alter richtig von der Kunstwelt «entdeckt». Im ersten Raum
der Ausstellung mit dem Thema «Entmaterialisierung» begegnen sich die Skulpturen dieser beiden
Künstler*innen, die eine ganz unterschiedliche Sprache sprechen, obwohl sie in ihrer Form ähnlich
sind.
Serras Skulpturen, die dem Minimalismus zugeordnet werden, machen Eindruck. Sie
sind da, ohne etwas abzubilden: reine, materielle, wuchtige Präsenz. Kritiker*innen haben die Kunst
des Minimalismus auch als (männliche und weisse) Machtdemonstration kritisiert: formgewordenes
Patriarchat. Marion Baruchs Arbeiten sind das pure Gegenteil. Die drapierten Stoffreste,
ausgeschnittene Silhouetten der prêt-à-porter Industrie, sind fragil, leicht, schwebend. Baruchs
Skulpturen sprechen die Sprache des Post-Minimalismus: einem Zugang zu industriellem Material,
der sich auf die eigene Körperlichkeit der Künstler*innen bezieht und persönlicher gefärbt ist als jener
des Minimalismus.
Weiter stellt Unerwartete Begegnungen unter dem Thema «Alpine
Ökologie» Sammlungs-Werken von Martha Cunz eine Videoarbeit von Uriel Orlow gegenüber,
illustriert den jeweiligen Kunst-Kosmos von Johanna Nissen-Grosser und Per Kirkeby, die sich beide
stark für Figuren, Landschaft und Natur interessieren. Im letzten Raum präsentiert das Kunstmuseum
St.Gallen dem Publikum nach längerer Zeit die frisch restaurierte und spektakuläre 76-Kanal-
Videoinstallation von Nam June Paik, Beuys/Voice – A Hole in the Hat, 1987/1990, deren erste
Version 1987 auf der documenta 8 in Kassel gezeigt wurde, im Dialog mit Werken von Künstlerinnen
– namentlich Sturtevant und Sherrie Levine – die sich, ebenso wie Paik, auf die Künstler-Figur
Joseph Beuys beziehen.
Kuratiert von Gianni Jetzer und Melanie Bühler
Künstler*innen: Marion Baruch (*1929 Timisoara, Rumänien; lebt und arbeitet in Gallarate,
Italien), Martha Cunz (St.Gallen 1876–1961 St.Gallen), Per Kirkeby (Kopenhagen 1938–2018
Kopenhagen), Sherrie Levine (*1947 Hazleton, USA; lebt und arbeitet in New York) Johanna Nissen-
Grosser (St.Gallen 1931–2021 St.Gallen), Uriel Orlow (*1973 Zürich; lebt und arbeitet in Lissabon,
Portugal), Nam June Paik (Seoul 1932–2006 Miami Beach, USA), Richard Serra (*San Francisco,
USA 1938; lebt und arbeitet in New York), Sturtevant (Lakewood, USA als Elaine Horan 1924–2014
Paris, Frankreich)
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