Manchmal werden Pflanzen oder Tiere innert weniger Jahre oder sogar Wochen so stark
dezimiert, dass sie danach auf der Liste der gefährdeten Arten stehen. Schon eine neue Strasse etwa
kann zur existenziellen Bedrohung für eine seltene lokale Amphibienart werden, wenn dafür per
Kettensäge eine Schneise durch den Wald geschlagen wird. Auch extreme Wetterereignisse wie
Dürren und Waldbrände, die durch den Klimawandel immer häufiger vorkommen, können in einer
einzigen Saison bei einer ganzen Population verheerende Schäden anrichten.
Solche
Bedrohungen für die Biodiversität kommen oft überraschend und rasant. Deshalb ist es wichtig,
frühzeitig Alarm schlagen zu können. Genau dieses Ziel verfolgt Daniele Silvestro mit seinem vom
SNF unterstützten Projekt. In der Fachzeitschrift Plants, People, Planet skizziert der Forscher der
Universität Freiburg einen Lösungsansatz, der Künstliche Intelligenz, Luftaufnahmen und Citizen
Science kombiniert. So soll es möglich sein, die richtigen Entscheidungen zu treffen - und zwar
schneller als bisher.
Handy und Citizen Science
Der Forscher entwickelt ein
Programm, das mit Künstlicher Intelligenz Umweltinformationen aus verschiedenen Quellen wie
Datenbanken, Bildern und Messungen auswertet. Dieses will er so optimieren, dass es auch
Satelliten- und Luftaufnahmen analysieren kann. Denn diese Aufnahmen bergen eine Fülle von
Informationen: Sie können etwa Entwaldung und Wiederaufforstung, Veränderungen in der
Pflanzendecke, neue Pinguinkolonien in der Antarktis oder neue Infrastrukturbauten sichtbar machen.
"Mit Künstlicher Intelligenz können wir Millionen von Bildern innert kürzester Zeit analysieren", erklärt
Silvestro. "Das menschliche Auge kann zwar dieselben Veränderungen erkennen, doch mit der KI
geht das viel schneller. Wir erreichen damit neue Dimensionen und können die Erde sozusagen live
überwachen."
Zur Ergänzung des Systems will Silvestro auch die Möglichkeiten von Citizen
Science einbauen. Seine Vision: Freiwillige, die mit ihren Mobiltelefonen durch Brachland, Wälder
oder Sümpfe streifen, steuren weitere Bilder bei. Eine App könnte automatisch die vorhandenen Arten
identifizieren - zum Beispiel die verschiedenen Baumarten in einem kleinen Ausschnitt des tropischen
Regenwalds. Diese Details sind aus der Höhe, aus der Drohnen und Satelliten fotografieren, nicht
erkennbar. "Mit den Mobiltelefonen eröffnen sich enorme Möglichkeiten, die noch kaum genutzt
werden", ist Silvestro überzeugt. "Wo Menschen sind, gibt es auch Telefone, und praktisch alle haben
Kameras und GPS für eine genaue Lokalisierung."
Katastrophe vorausdenken
Mit solchen Daten kann ein KI-System nicht nur überwachen, sondern auch Probleme
voraussehen, Risikogebiete identifizieren und sogar Strategien zur Verhütung von
Umweltkatastrophen vorschlagen. Dazu hat das Team aus Fribourg auch ein Instrument
weiterentwickelt, das häufig bei Game-Apps wie etwa für Schach oder Go verwendet wird. "Wir
lassen unsere KI wortwörtlich spielen. Sie soll jedoch nicht einen Gegner auf dem Schachbrett
bezwingen, sondern Strategien erlernen, mit denen sich Verluste in der biologischen Vielfalt
vorhersagen und abwenden lassen", erklärt Silvestro.
In seiner Studie zeigt der Forscher,
dass KI mit einer Kombination von Luft- und Bodenaufnahmen den Status von Arten augenblicklich
neu bestimmen kann. Das wäre ein grosses Plus, denn Zeit ist oft ein wichtiger Faktor. So wurden
zum Beispiel wild lebende Koalas in Australien innerhalb weniger Wochen zu einer gefährdeten Art,
weil die Waldbrände von 2020 für sie verheerende Folgen hatten, erklärt der Forscher. Um seine
Vision eines Frühwarnsystems umsetzen zu können, widmet sich Daniele Silvestro intensiv der
Entwicklung seines Open-Source-Systems CAPTAIN. Derzeit führt er dafür Gespräche mit mehreren
Institutionen und Unternehmen.
(*) Antonelli, A., Dhanjal-Adams, K.L. und Silvestro, D:
Integrating machine learning, remote sensing and citizen science to create an early warning system
for biodiversity. Plants, People, Planet (2022). https://doi.org/10.1002/ppp3.10337
Der Text dieser News und weitere Informationen stehen auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Pressekontakt:
Daniele Silvestro
Department of Biology
Chemin du Musée 10 | 1700 Fribourg
Tel.: +41 26 300 8857 | E-Mail: daniele.silvestro@unifr.ch