Laut einer Analyse der Weltbank ist die Armut ungleich zwischen Stadt und Land verteilt: Weltweit
leben vier von fünf Menschen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze in ländlichen
Regionen. Bisher unklar war, ob dies auch auf wohlhabende Länder wie die Schweiz zutrifft. Eine
Studie der Fachhochschule Bern zeigt nun: In der Schweiz ist die Armut fast gleichmässig auf Stadt
und Land verteilt. Allerdings verfügen je nach Wohnort unterschiedliche soziale Gruppen über zu
wenig Geld.
"Das Hauptproblem von Armutsanalysen war bis vor einigen Jahren, dass man
die vielen vorhandenen Daten nicht verknüpfen konnte", sagt der Sozialwissenschaftler Oliver
Hümbelin von der Fachhochschule Bern. Einer von ihm geleiteten Studie ist dies nun - unter
Einhaltung des Datenschutzes - gelungen: In die Analyse gingen neben den kompletten Steuerdaten
des Kantons Bern aus dem Jahr 2015 auch weitere administrative Daten und Ergebnisse von
Umfragen mit ein. Dies ermöglichte eine granuläre Aufschlüsselung anhand von sozialen Faktoren
wie Bildung, Familiensituation, Berufstätigkeit und Herkunft.
Keine grosse Ungleichheit in der
Schweiz
Dabei stellte sich heraus, dass der Gesamtanteil an armen Menschen in der Stadt (7
Prozent) sogar leicht höher ist als auf dem Land (5 Prozent). "Eine grosse Ungleichheit wie etwa in
den USA oder Entwicklungsländern, wo das Land komplett den Anschluss verloren hat, finden wir in
der Schweiz nicht", so Hümbelin. Überproportional häufig von Armut betroffen - egal ob Stadt oder
Land - sind unter anderem Frauen, Alleinerziehende und Menschen mit niedriger Bildung. Bei
anderen Gruppen fanden die Forschenden deutliche regionale Unterschiede: In den Städten sind vor
allem Menschen aus bestimmten Berufsgruppen arm (freiberufliche und Dienstleistende wie
Haushaltshilfen) sowie Menschen aus Migrationsländern ausserhalb Europas. Auf dem Land fallen
hingegen besonders in der Landwirtschaft tätige Personen sowie Pensionierte unter die
Bemessungsgrenze für den Sozialhilfebezug.
Wie weitere Auswertungen inzwischen ergeben
haben, hängt die finanzielle Situation auch stark von der jeweiligen Lebensphase ab: So befinden
sich Familien mit Kleinkindern oft gerade noch knapp oberhalb der Armutsgrenze, mit dem
Kindergarteneintritt des jüngsten Kindes bessert sich die Lage und mit Volljährigkeit der Kinder gleicht
sich der Reichtum an die allgemeine Bevölkerung an.
Solche Resultate weisen laut Hümbelin
den Weg, um in der Schweiz geeignete politische Massnahmen gegen Armut zu entwickeln. Mit dem
zukünftigen nationalen Armutsmonitoring, für das der Bundesrat derzeit ein Konzept entwickelt, sollte
dies noch besser gehen. Ziel unter anderen ist, Risikogruppen zu identifizieren. Die Berner
Fachhochschule unterstützt zudem Kantone bei der Implementation eines kantonsspezifischen
Armutsmonitorings. "Ein grosser Teil der Armutspolitik liegt in der Verantwortung der Kantone, aber
gerade auf dieser Ebene weiss man noch gar nicht viel", so Hümbelin. "Damit man wissensbasiert
agieren kann, muss man die Daten nutzen."
O. Hümbelin et al.: Rich cities, poor countryside?
Social structure of the poor and poverty risks in urban and rural places in an affluent country. Local
Economy (2022): https://doi.org/10.1177%2F02690942221104
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Pressekontakt:
Prof FH. Dr. Oliver Hümbelin
Berner
Fachhochschule, Soziale Arbeit
Institut Soziale Sicherheit und Sozialpolitik
Hallerstrasse 10
3012 Bern
E-Mail: oliver.huembelin@bfh.ch
Tel:
+41 31 848 36 97