Die Atmosphäre in der Hütte aus Holz, Lehm und Plastikplanen ist liebevoll. Die Mädchen legen
die Köpfe an die Schultern der Eltern. Der Blick von Tariku Tilahun ist sanft, wenn er seine Frau
anblickt. "Wir kennen uns, seit wir Kinder sind", sagt Zinabwa Boru. "Wir haben gespielt und Wasser
geholt." Irgendwann sei zur Freundschaft die Liebe hinzugekommen, ergänzt Tariku. Doch ihre
Herkunft hatte dem jungen Paar ein schlechtes Blatt in die Hand gegeben.
"Ich durfte nie in
die Schule gehen", sagt Zinabwa. Sie stammt aus einer Familie mit acht Kindern - traditionell
kommen die Mädchen an zweiter Stelle, wenn es um Schulbildung geht. Tarikus Vater war Soldat, er
starb im damaligen äthiopischen Bürgerkrieg kurz nach der Geburt seines Sohnes. Als die Mutter
krank wurde, schickte sie ihren Sohn als Hütebub zu einem Bauern im Dorf: Halbwaise Tariku verbrachte seine Kindheit und Jugend damit, Ziegen und
Schafe zu hüten. Er kann weder lesen noch schreiben.
In Abaya gibt es keine Industrie
und kaum Handel. Feste Gehälter gibt es nur für die wenigen, die beim Staat angestellt sind, als
Lehrer oder in der Verwaltung. Manche Bauern verdienen mit Kaffee etwas Geld. Aber Tariku und
Zinabwa besitzen keine Kaffeegärten und auch keine anderen Nutzflächen.
Der Weg in die
Selbständigkeit
Was könnte ihnen helfen? "Wir bräuchten ein kleines Startkapital", sagt
Tariku. "Dann könnten wir endlich investieren und auf eigene Rechnung arbeiten." In einem Stall
hinter dem Haus mästet das Paar regelmässig einen Ochsen - eigentlich ein einträgliches Geschäft.
Das Problem: Zinabwa und Tariku haben kein Kapital, um selbst ein Tier zu kaufen. Stattdessen zahlt
ein Nachbar den Kaufpreis. Alle Arbeit wie die Futtersuche auf kommunalen Brachflächen wird von
Zinabwa und Tariku erledigt - aber beim Verkauf des Ochsen nach drei bis vier Monaten wird der
Gewinn hälftig zwischen ihnen und dem Investor geteilt.
So läuft es auch in der Teebude am
Dorfplatz: Tariku betreut dort von morgens bis abends die Gäste. Aber den Gewinn muss er mit dem
Budenbesitzer teilen. Damit bleibt ihm ein Entgelt von umgerechnet 45 bis 55 Rappen pro Tag.
Hafursa Bangasa ist eines der Dörfer im Distrikt Abaya, denen Menschen für Menschen seit
Beginn dieses Jahres Entwicklungsimpulse gibt. Die Schweizer Stiftung will nun dem Ehepaar über einen Mikrokredit von umgerechnet
280 Franken einen Mastochsen ermöglichen - eine bewährte Hilfe für landlose Familien. "Das ist
eine grosse Chance", sagt Tariku. "Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Ochsen können wir Teile des
Kredits zurückzahlen, ein neues Tier kaufen - und in eine eigene Teestube investieren."
Allein im Jahr 2021 erhielten 261 Familien in Abaya über Menschen für Menschen einen
Mastochsen, konnten damit ihr Einkommen stabilisieren und Geldbeträge für Kleininvestitionen
ansparen. Futter lässt sich auf Brachflächen kostenlos sammeln. Nach jeweils drei Monaten
verkaufen die Mäster die Ochsen mit etwa fünfzigprozentigem Aufschlag. Nach eineinhalb bis zwei
Jahren des Mästens mit immer neuen Tieren ist der Kredit getilgt und die Mäster kaufen neues Vieh
mit eigenem Geld.
Parallel zu den Mikrokrediten organisiert Menschen für Menschen die
Bauern und Bäuerinnen in genossenschaftlich organisieren Spar- und Selbsthilfegruppen. Dort
erhalten sie Schulungen und landwirtschaftliche Inputs. Familien, die Felder besitzen, werden mit
leistungsfähigem Saatgut versorgt.
Zum ersten Mal im Leben ein Festessen
Die
Armut in Abaya verschärft sich in kinderreichen Familien mit fünf und mehr Kindern. "Deshalb ist es
uns wichtig, dass wir in den Selbsthilfegruppen auch über Familienplanung informieren", betont
Kelsang Kone, Geschäftsführer von Menschen für Menschen. "Wir bilden auch
ehrenamtliche Helfer aus, die in den Schulen und Dörfern über Familienplanung und Verhütung
aufklären."
Die Rückzahlungen der Mikrokredite fliessen nicht an Menschen für Menschen,
sondern in die Kassen der Spar- und Selbsthilfegruppen. Sie vergeben dann selbst neue Kredite. So
zieht die Unterstützung Kreise. "Nach einigen Jahren können wir uns aus den Dörfern zurückziehen",
sagt Kelsang Kone. "Die Menschen kommen allein zurecht."
Durch die offene Tür der Hütte
von Tariku und Zinabwa im Dorf Hafursa Bangasa stolziert ein Huhn und scharrt im Lehmboden. "Die
Henne gehört einem Nachbarn", sagt Tariku: Bis jetzt besitzt die Familie nicht einmal ein einziges
Tier.
"Doro Wot", ein scharfer Eintopf mit Poulet, ist das Nationalgericht Äthiopiens. Man isst
es an Festtagen. Die Eltern hoffen, dass sie an Weihnachten ihren Kindern zum ersten Mal im Leben
"Doro Wot" bieten können.
Menschen für Menschen setzt
sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 -
2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für
die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig
leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung,
Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten
werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen
Partnern umgesetzt.
Spendenkonto:
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