Ein im Jahr 2012 entdecktes jungsteinzeitliches Grab in der Nähe von Oberbipp (BE) hat sich als
wahre Schatztruhe für die Wissenschaft erwiesen. Nach zehn Jahren legt das multidisziplinäre
Forschungsteam, das vom Schweizerischen Nationalfonds mitfinanziert wurde, nun die vorläufig
letzte Studie dazu vor. Neue Erkenntnisse zum Bau und der Geschichte des aus Steinblöcken
errichteten Grabes, ein sogenannter Dolmen, ergeben zusammen mit vorherigen Untersuchungen ein
überraschend klares Bild der Menschen, die vor 5000 Jahren am Südfuss des Juras lebten.
Hoher technischer Verstand
"In diesen zehn Jahren konnten wir durch einen Sprung in
der Entwicklung der Methoden, besonders im Bereich der Anthropologie, viel mehr herausfinden, als
wir uns je erträumt haben", sagt die Archäologin Marianne Ramstein vom archäologischen Dienst des
Kantons Bern. Sie hat sich vor allem mit der Konstruktion des aussergewöhnlich gut erhaltenen
Dolmens befasst. So fand sie heraus, dass die Steine für die Grabkammer alle aus dem Umkreis von
etwa einem Kilometer stammten. "Die Anlage wurde mit grossem Aufwand gebaut", so Ramstein "Es
wurden gezielt verschiedene Steinarten ausgesucht und sorgfältig zusammengesetzt, was von
hohem technischem Verständnis zeugt." Als Beispiel nennt sie die Wahl einer Platte aus Kalktuff für
den Eingang - einem Stein, der leicht zu bearbeiten und einzupassen ist.
Gemeinsam mit
dem Institut für Integrative Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität
Basel hat Ramstein auch ermittelt, was mit dem Dolmen in den folgenden Epochen passierte. Zur
Zeit des Römischen Kaiserreiches und im Frühmittelalter war das Grab wahrscheinlich noch sichtbar
und wurde von Menschen besucht - das belegen etwa zeitgenössische Keramikscherben. Vom
Mittelalter an wurde das Land dann regelmässig geflutet, um es fruchtbar zu machen. Das
eingeschwemmte Sediment deckte das Grab nach und nach zu, bis in der Neuzeit nur noch die
Spitze herausschaute. "Diese lokaltypische Landwirtschaftsform verhinderte eine frühere Entdeckung
und hat zur besonders guten Erhaltung des Baus beigetragen", so Ramstein. Feines Sediment
versiegelte auch die Lücken zwischen den Steinen, wodurch die Skelette von 42 dort begrabenen
Menschen konserviert wurden.
Männer aus drei Generationen
Die anthropologische
Untersuchung dieser Überreste durch die Forschungsgruppe um Sandra Lösch von der Universität
Bern und ein Team des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena lieferte im Laufe der
Jahre eine Fülle von Informationen. Hierfür studierten die Forschenden unter anderem die Knochen,
bestimmten die chemische Zusammensetzung der Zähne und analysierten die Verwandtschaft durch
DNA-Analysen. "Die Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass sich die Menschen damals für längere
Zeit in der Nähe des Dolmens niedergelassen hatten, denn es waren männliche Verwandte aus
mindestens drei Generationen darin begraben", so Lösch. Die darin begrabenen Frauen stammten
möglicherweise aus anderen Regionen. Ausserdem konnte man aus den Untersuchungen
schliessen, dass sich die Begrabenen hauptsächlich von den Erträgen aus Ackerbau und ein wenig
Viehzucht ernährt hatten.
"An den Schweizer Seen gibt es viele gut untersuchte Überreste
von Siedlungen aus der Jungsteinzeit. Aber über die Menschen, die damals im Hinterland lebten, war
bisher praktisch nichts bekannt", sagt Ramstein. Aufgrund der dort herrschenden
Umweltbedingungen blieben meistens weder Bauten noch Keramik noch Skelette erhalten. "Der
Fund von Oberbipp hilft uns, diese Forschungslücke zu schliessen." Dafür haben auch die Menschen
vor 5000 Jahren gesorgt, als sie für ihre Toten mit besonderer Sorgfalt und Hingabe eine Grabstätte
errichteten, die bis heute überdauert hat.
M. Ramstein et al.: The well-preserved Late
Neolithic dolmen burial of Oberbipp, Switzerland. Construction, use, and post-depositional processes.
Journal of Archaeological Science: Reports (2022). https://doi.org/10.1016/j.jasrep.2022.103397
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Marianne Ramstein
Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern
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Sandra Lösch
Institut für Rechtsmedizin
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