Wenn Bakterien in unsere Lunge oder den Darm eindringen, treten sie dort in Kontakt mit den
Zellen, die das Innere der Körperöffnungen überziehen und eine Schutzschickt bilden. Gewisse
dieser Bakterien unterstützen die Verdauung, andere verursachen Krankheiten. Alexandre Persat von
der EPFL untersucht, wie Bakterien ihre physische Umgebung erkennen - ihren Tastsinn sozusagen.
Wenn wir besser verstehen, wie sich Mikroorganismen in unserem Körper orientieren, können wir
Infektionskrankheiten und Antibiotikaresistenzen besser bekämpfen.
Bronchie aus Gelatine
und Zellen nachbauen
Persat kann jedoch mit seinen Mikroskopen nicht in eine menschliche
Lunge oder einen Mäusedarm eindringen, wenn er die Bakterien auf den Zellen beobachten will.
Deshalb entwickelt er mit seinem Team Systeme zur Kultivierung der Stammzellen von Mäusen oder
Menschen ausserhalb des Körpers. Er verwendet dazu gelatineartige, weniger als einen Zentimeter
grosse Würfel mit einem Loch. Auf der Oberfläche wachsen Zellen und bilden eine dünne Röhre,
ähnlich wie die Auskleidungen des Darms oder der Bronchien. Dieses Röhrchen schliesst er an ein
System an, das Flüssigkeit oder Luft hindurchpumpt. Mit diesem Modell beobachtet Persat, was
passiert, wenn Bakterien auf Zellen von Menschen oder Mäusen treffen. Unter dem Mikroskop
verfolgt er in Echtzeit die rhythmischen Bewegungen der Flimmerhärchen und die Schleimproduktion
der Lungenzellen.
Da keiner Maus ein Mikroskop implantiert wird oder Medikamente
verabreicht werden, ist das System auch eine Alternative zu Tierversuchen. Eine solche zu
entwickeln, ist jedoch nicht die Hauptmotivation von Persat. Er möchte die Verhältnisse beim
Menschen so realistisch wie möglich modellieren: "Wir können menschliches Gewebe nachbilden,
ohne den Umweg über Mäuse oder herkömmliche Zellkulturen zu machen." Dazu verwendet er
menschliche Spenderzellen, die bei Operationen oder nach dem Tod gewonnen werden. "Nehmen
wir als Beispiel Sars-Cov-2: Das Virus infiziert Menschen, nicht aber Mäuse. Daher müssen wir Daten
zum Menschen oder menschliches Gewebe verwenden", so Persat. "Wir könnten auch Mäuse
genetisch humanisieren, das ist jedoch zeitaufwändig, und wir können die Physiologie des Menschen
dabei nicht vollständig nachbilden."
Verschiedene Methoden ergänzen einander
Alexandre Persat benötigt für seine Versuche aber auch Tiere. Die Zellen in seinen Experimenten
wachsen in einer speziellen Flüssigkeit, dem Blutserum von Kühen, das bei der Fleischproduktion als
Nebenprodukt anfällt. Für sein Experiment musste er auch eine Maus einschläfern, damit er ihr
Stammzellen entnehmen konnte. Aus diesen Zellen entwickelt das Team von Persat kleine
Gewebekugeln, so genannte Organoide. Diese bilden den Darm nach und lassen sich mit dem
Mikroskop untersuchen. Für ein anderes Experiment benötigte er biologisches Material aus einem
Rattenschwanz, das im Handel erhältlich ist.
Obwohl Persat an Alternativen arbeitet, spricht
er sich für Tierversuche aus: "Natürlich bin ich dafür. In der Wissenschaft sind wir alle auf die
Erkenntnisse anderer Forschungsgruppen angewiesen. Wir können nicht alle Vorgänge nachbilden,
insbesondere nicht einen ganzen komplexen Organismus." Und: "Wenn das Mausmodell nicht
ausreicht, ist es wichtig, komplexere Modelle zu finden, die dem Menschen ähnlicher sind. Zum
Beispiel müssen gewisse Versuche zur Lungenerbkrankheit Mukoviszidose an Schweinen
durchgeführt werden." Dennoch ist er überzeugt, dass vermehrt Tierversuche ersetzt werden können.
"In der Forschung sind wir uns alle unserer ethischen Verantwortung bewusst. Doch wir können in der
Praxis noch mehr dafür tun, indem wir unsere neuen Methoden wesentlich häufiger teilen."
SNF verwendet eine strenge Definition von 3R
Als 3R ("replace", "reduce", "refine")
werden ethische Grundsätze bezeichnet, an denen sich die Forschung mit Tieren orientieren soll. Im
Rahmen des 3R Kompetenzzentrums Schweiz und des Nationalen Forschungsprogramms
"Advancing 3R - Tiere, Forschung und Gesellschaft" wird Forschung zur Optimierung entsprechender
Methoden finanziert.
Bei allen anderen Projekten, wendet der SNF strenge Kriterien an, ob
sie als 3R-Projekte gelten. Verlangt werden nicht einfach Methoden ohne Tierversuche, sondern
aktive Impulse für weniger und bessere Tierversuche. Rund ein Prozent der Gesuche in den
Bereichen Biologie und Medizin betreffen die Förderung von 3R-Methoden nach diesem Massstab.
Alexandre Persat hat mit zwei Projekten die Anforderungen des SNF erfüllt:
- Projekt 1: Gewebekugeln zur Nachahmung des Darms, 700'000 Franken von
2018 bis 2022. Teil der normalen Projektförderung.
- Projekt 2: Entwicklung von
Atemwegsgeweberöhrchen auf einer Art Gelatine, 280'000 Franken von 2020 bis 2023. Teil des
Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) AntiResist.
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