Der Onlinevergleichsdienst comparis.ch hat die Strafbefehlsgebühren untersucht. Diese fallen an
bei Kurzverfahren mit eingeschränkten Verteidigungsrechten.
Beim Comparis-Vergleich
wurde die Gebühr für eine Geschwindigkeitsüberschreitung untersucht: Wer innerorts bei maximal
erlaubten 50 km/h 20 km/h zu schnell fährt, muss je nach Kanton mit einer Busse von 400 bis 450
Franken rechnen, vorausgesetzt, es handelt sich um einen Ersttäter und es liegen keine komplexen
Umstände vor. Die Höhe der Bussen liegt also in allen Kantonen nahe beieinander. Doch die
zusätzlich anfallenden Gebühren für die Bearbeitung des an und für sich einfach zu beurteilenden
Deliktes klaffen weit auseinander.
Kostendeckungsprinzip ist nicht erfüllt
Die kleinste
Gebühr erhebt mit 50 Franken der Kanton Neuenburg. Am meisten verlangt hingegen der Kanton
Aargau mit 500 Franken. Hier ist die Strafbefehlsgebühr sogar höher als die Busse selbst. Der
Kommunikationsdienst des Aargauer Departements Volkswirtschaft und Inneres rechtfertigt diese auf
Anfrage von Comparis mit dem Kostendeckungsprinzip. Dieses besagt, dass die Beiträge die
gesamten Kosten des betreffenden Verwaltungszweigs nicht übersteigen dürfen.
Allerdings
werde im Fall Aargau eine hundertprozentige Kostendeckung weder im Einzelfall noch in der Summe
erreicht, teilt der zuständige Kommunikationsdienst mit. Abgesehen vom Kanton Aargau liegt die
Gebühr auch im Kanton Schaffhausen höher als die Busse selbst.
Sieben Städte mit
Gebühren über 300 Franken
Die tiefsten Strafbefehlsgebühren werden in Neuenburg (50
Franken), Lausanne (60 Franken) und Sitten (67 Franken) erhoben. Die höchsten in Aarau (500
Franken), Schaffhausen (450 Franken) und Zürich (430 Franken). 300 Franken und mehr betragen
die Gebühren zudem auch in Luzern (370 Franken), Appenzell (350 Franken), Chur (340 Franken)
und Glarus (300 Franken).
«Die Kantone führen sich auf wie Königreiche»
«Bei den
Bussen gleichen sich die Kantone untereinander ab. Doch bei den Gebühren führen sie sich wie
Königreiche auf», stellt Comparis-Gebührenexperte Leo Hug fest. «Ich verstehe nicht, wie für das
gleiche Vergehen gegen das gleiche Gesetz bei einer praktisch gleich hohen Busse an einem
Kantonshauptort zehnmal höhere Strafbefehlsgebühren erhoben werden können. Anstelle
interkantonaler Koordination herrscht Willkür», so Hug.
Staatsanwaltschaften von Genf und
Bellinzona geben keine Auskunft
Beim Strafbefehlsverfahren ist der klagende Staatsanwalt
gleichzeitig der Richter. Im Strafbefehlsverfahren werden also strafrechtliche Urteile durch
Verwaltungsangestellte und nicht durch die Justizbehörden durchgeführt. Eine solche Art von
Rechtsprechung setzt hohes Vertrauen der Bevölkerung in die Beamtenschaft, aber auch Bürgernähe
der Verwaltung voraus. «Intransparenz und mangelnde Nähe zur Bevölkerung sind Gift für ein
solches Rechtssystem», so Hug. Umso bedenklicher stufen wir es ein, dass die zuständigen
Behörden in Genf und Bellinzona auf die wiederholte Anfrage von Comparis zu den Gebühren bei
Geschwindigkeitsübertretungen nicht reagiert haben», sagt der Gebührenexperte.
Was ist ein
Strafbefehl?
Der Strafbefehl ist ein Verfahren mit eingeschränkten Verteidigungsrechten. Laut
Strafrechtsprofessor Marc Thommen* erfolgen 90 Prozent aller strafrechtlichen Verurteilungen in der
Schweiz mittels Strafbefehl oder abgekürzten Verfahrens. Die Vorteile des «kurzen Prozesses» sind
ein minimaler Aufklärungsaufwand und damit tiefere Kosten.
Der Nachteil beim «kurzen
Prozess» sind die eingeschränkten Verteidigungsrechte. Eine zwingende Einvernahme des
Beschuldigten ist im Strafbefehlsverfahren nicht vorgesehen. Der Strafbefehl wird nicht durch einen
Richter, sondern durch die Untersuchungs- und Anklagebehörde erlassen.
Staatsanwälte
können Strafbefehle erlassen, wenn sie eine Busse, eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen
oder höchstens ein halbes Jahr Freiheitsentzug für ausreichend erachten. Gegen den Strafbefehl
kann innert zehn Tagen Einsprache erhoben und dadurch die Sache einem richtigen Gericht
vorgelegt werden, wo dem Beschuldigten auch rechtliches Gehör garantiert ist. Allerdings drohen ihm
dadurch zusätzliche Kostenrisiken.
*«Kurzer Prozess – fairer Prozess?»
Methodik
Comparis hat den zuständigen Staatsanwaltschaften der einzelnen Kantone
den für den obigen Artikel angenommenen Gesetzesverstoss (20 km/h zu schnell bei erlaubten 50
km/h innerorts, der fehlbare Autolenker ist ein Ersttäter und es liegen keine komplexen Umstände
vor) vorgelegt und nach der Höhe der Busse und Strafbefehlsgebühr gefragt. Die Antworten sind
schriftlich erfolgt.
Weitere Informationen:
Leo Hug
Gebühren-Experte
Telefon: 079 687 83 931
E-Mail: leo.hug@comparis.ch
comparis.ch