"Vor der Corona-Zeit sicherte die Familie ihre Ernährung mit Resten aus der Universitätskantine. Weil
die Hochschulen jetzt geschlossen sind, gibt es diese Möglichkeit nicht mehr."
So beschreibt
eine Sozialarbeiterin von Menschen für Menschen die Situation einer
alleinerziehenden Mutter und ihrer drei Kinder zwischen 4 und 13 Jahren in der äthiopischen Stadt Debre
Berhan. "Vor der Pandemie arbeitete die Mutter zeitweise als Haushaltshilfe, sie kochte für die Familien
von Staatsbeamten. Diese haben jetzt Angst vor Ansteckung. Damit ist die Familie ohne Hilfe von aussen
dem Hunger ausgeliefert."
Normalerweise ermöglicht die Schweizer Stiftung den 1000 ärmsten
Kindern in der äthiopischen Stadt langfristige Lebensperspektiven, vor allem über Bildungsangebote -
doch seit der Corona-Krise ist auch akute Nothilfe lebensnotwendig. Von den Lebensmittelverteilungen der
Schweizer Stiftung profitieren nur die bedürftigsten Familien. Die Nothilfe basiert auf Hausbesuchen der
Sozialarbeiterinnen. "Wir wollen kein Abhängigkeitssyndrom schaffen", erklärt Kelsang Kone,
Geschäftsführer von Menschen für Menschen. "Deshalb untersuchen wir die
tatsächliche Situation für jede Familie individuell."
In den Paketen finden sich Reis, Weizenmehl,
Teigwaren, Pasta, Kichererbsen oder andere Hülsenfrüchte, Speiseöl, Waschseifen und Gesichtsmasken.
Vergleichbare Pakete bekommen auch 158 alleinerziehende Mütter von unterernährten Kleinkindern aus
den Armenvierteln im Stadtteil Arada in Addis Abeba - ergänzt um einen Mietzuschuss in bar, weil in der
Hauptstadt die Mieten selbst für schäbigste Unterkünfte für die Ärmsten in der Corona-Krise nicht zu
stemmen sind.
Die Schwächsten leiden besonders
Während
viele Menschen in Europa aufgrund der begonnenen Impfungen auf eine Entspannung der Krise hoffen,
fehlt in Afrika diese Perspektive. "Der globale Kampf um die Impfstoffe ist entbrannt", urteilt etwa die Neue
Zürcher Zeitung (NZZ): "Während finanzstarke Staaten von ihren mit den Pharmaunternehmen
ausgehandelten Vorkaufsrechten Gebrauch machen, drohen Entwicklungsländer leer auszugehen."
Zwar hat die Weltgesundheitsorganisation mit Regierungen, Stiftungen und Pharmaunternehmen die
Initiative Covax gestartet. Sie soll allen Ländern einen gerechten Zugang zu Impfstoffen gewährleisten.
Doch die Nachrichtenagentur Reuters berichtete im Dezember, dass Covax nicht genug Geld erhält: Um
das gesteckte Ziel zu erreichen, in den armen Ländern bis Ende des Jahres 2021 mindestens 20 Prozent
der Bevölkerung zu impfen, bräuchte es fünf Milliarden Dollar mehr als die bislang eingesammelten 2.1
Milliarden Dollar.
Was aber bedeutet es für die einzelnen armen Familien in Afrika, wenn weite
Teile des Kontinents noch ein Jahr oder länger auf einen Impfstoff warten müssen? "Die Wirtschaft kommt
weiter unter Druck", sagt Kelsang Kone. "Darunter leiden besonders die Schwächsten auf dem
Arbeitsmarkt, nämlich die Väter und Mütter ohne Schul- und Berufsbildung." Sie arbeiten als Tagelöhner
auf dem Bau, auf Märkten oder als Haushaltshilfen und damit von der Hand in den Mund, erklärt Kelsang
Kone: "Finden Sie am Morgen keinen Job, hungern am Abend ihre Kinder."
Impfgerechtigkeit in
der Welt sollten die reichen Länder schon aus Eigeninteresse verfolgen: "Auch in der Schweiz werden wir
das Virus erst wirklich überstanden haben, wenn es weltweit in Schach ist", betont Kelsang Kone.
Menschen für Menschen ist in den Slums Äthiopiens aktiv,
wo die Bewohner auf engstem Raum zusammenleben: Wenn sich das Virus in den Armenvierteln
vermehren kann, ohne von Impfungen ausgebremst zu werden, könnte es mehr Mutationen geben. Damit
steigt die Gefahr, dass die entwickelten Impfstoffe gegen die neuen Varianten weniger gut wirken könnten:
"Wenn uns Corona eines lehrt, dann dies: Wir Menschen sitzen alle in einem Boot."
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Michael
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