Viele Schweizer Eltern erinnern sich mit einigem Schrecken an die Schulschliessungen zwischen 13.
März und 11. Mai aufgrund der Doppelbelastung Beruf und Heimunterricht. Abzüglich der Frühlingsferien
verloren die Kinder sechs Wochen Schulzeit. "Immerhin konnten sich Lehrer, Schüler und Eltern mittels
digitaler Tools auf Fernunterricht umstellen ", sagt Kelsang Kone. "In Äthiopien ist das nicht möglich." In
dem ostafrikanischen Land wurde die Schulen ebenfalls ab Mitte März geschlossen. Aber die Regierung
öffnete die ersten Schulen erst wieder ab Ende Oktober schrittweise. Abzüglich der Ferienwochen verloren
damit alle äthiopischen Kinder und Jugendlichen mindestens rund 26 Schulwochen.
Zwar
schlugen die Lehrer wöchentlich neue Aufgaben an den Schulpforten an. Auf Hilfestellung von Mama und
Papa beim Selbststudium können aber die wenigsten Kinder setzen. Der Grossteil der Bevölkerung lebt
als Kleinbauern und Tagelöhner. Sie verdienen extrem wenig und müssen jede Erwerbsarbeit annehmen.
Für die Kinder bleibt kaum Kraft. Aber auch wenn sie welche hätten, könnten sie nicht helfen: Viele Eltern
waren nie in einer Schule. Vor allem ist digitaler Unterricht und damit auch das Feedback von den Lehrern
noch eine Utopie. "Computer sind unerschwinglich. Viele Eltern sind froh, wenn sie das Geld für Hefte und
Kugelschreiber aufbringen", erklärt Kelsang Kone.
Also waren die Kinder über ein halbes Jahr
lang in winzigen Unterkünften auf sich allein gestellt. Die ärmsten Familien haben meist nur zwei Räume,
manchmal auch nur einen zur Verfügung. Pro Familienmitglied gibt es im Schnitt vier Quadratmeter
Wohnraum. Zum Vergleich: In der Schweiz hat eine Familie mit zwei Kindern im Schnitt 144 Quadratmeter
Wohnraum. Hinzu kommt die besondere Anspannung der Eltern in Äthiopien: Viele Tagelöhner finden
aufgrund der Corona-Beschränkungen keine Gelegenheitsjobs mehr. Den Familien droht damit
Mangelernährung und Hunger.
Die Kinder sind gereizter
"Die Buben und Mädchen sind in dieser Situation gereizter und aggressiver", sagt Kelsang Kone. "So
berichten es unsere Sozialarbeiterinnen in Debre Berhan." In der äthiopischen Grossstadt gibt Menschen für Menschen den 1000 ärmsten Kindern Lebensperspektiven. Die
bedürftigsten Familien bekommen seit Beginn der Corona-Krise Überlebenspakete mit Nahrungsmitteln
von dem Schweizer Hilfswerk. Daneben sei die mentale Unterstützung sehr wichtig: "Unsere
Mitarbeiterinnen fragen die Kinder nach ihren Sorgen, sie trösten und motivieren sie zum Lernen,
korrigieren auch mal eine Schulaufgabe."
Ausserdem beraten die Sozialarbeiterinnen die Väter
und Mütter. Die Enge und die fehlende Bewegung sind grosse Probleme. Warum nicht abends, wenn die
Strassen leer sind, gemeinsam spazieren gehen? Oder gemeinsam einen Fussball aus Lumpen basteln
und damit auf der Gasse spielen?" Viele Eltern schauen zunächst verwundert bei diesen Vorschlägen. Mit
den Kindern Qualitätszeit zu verbringen, ist nicht verbreitet bei den armen Familien in Äthiopien - weil der
Kampf ums Überleben die Energien fordert. "Aber gerne lassen sich viele Eltern inspirieren - und die
Kinder geniessen das gemeinsame Erlebnis", sagt Geschäftsführer Kone. "So lassen sich Momente der
Nähe schaffen in einer schwierigen Zeit."
Auch mit dem Verteilen von Tagebüchern an die Kinder
soll die mentale Gesundheit gefördert werden. Das Schreiben von Tagebüchern ist für viele Teenager
wichtig - umso mehr in der Corona-Zeit, in der sie kaum Freunde treffen können, weil die meisten Familien
ihre Kontakte auf ein Minimum beschränken: Corona ist für arme Tagelöhner auch deshalb bedrohlich, weil
sie nach einer Ansteckung nicht arbeiten können, also kein Geld für Nahrungsmittel verdienen können. Die
Mitarbeiterinnen von Menschen für Menschen ermuntern die Kinder, ihre
Gedanken und Gefühle zu notieren. "Das Schreiben ist für mich wie ein Anker", sagt der 15 Jahre alte
Eremias. "Es hilft mir, positiv zu bleiben."
Es dürfe nicht soweit kommen, dass Kinder und
Jugendliche durch den Unterrichtsausfall und die besonders schwierige Lage der ärmsten Familien in der
Corona-Zeit den Anschluss verlieren, erklärt Kelsang Kone: "Wir geben Schulmaterial aus. Und unsere
Sozialarbeiterinnen kümmern sich um die Teenager, damit sie aufgrund der langen Pause nicht demotiviert
und zu Schulabbrechern werden."
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