Dittli geht davon aus, dass Armut und Hunger im Zuge der Coronakrise
drastisch steigen werden. Auch die Gewalt gegen Kinder nimmt in der Coronaisolation stetig zu, während
die Möglichkeit, Bildung und medizinische Versorgung zu erhalten, weiter sinkt. Eine momentane
Einschätzung der UN-Entwicklungsziele:
Armut
Seit 1990 war die Zahl der Menschen, die
in extremer Armut leben, von 36 auf zehn Prozent gesunken. „Aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise
verlieren derzeit Millionen von Familien ihr einziges Einkommen und können nicht mehr angemessen für
ihre Kinder sorgen“, betont Erika Dittli. Laut Schätzungen der 'UN-University' wird die Zahl der Menschen
in extremer Armut – je nach wirtschaftlicher Entwicklung - um 80 bis 420 Millionen steigen. Noch in diesem
Jahr könnte damit die Milliardengrenze überschritten werden – zum ersten Mal seit 2010.
Hunger
Schon vor Corona war die Zahl der hungernden Menschen in drei aufeinanderfolgenden Jahren
wieder gestiegen. „Dieser Trend wird durch die Coronakrise weiter angeheizt. Denn wer heute wegen der
Coronakrise seinen Job verliert, leidet in vielen Ländern schon morgen Hunger“, erläutert Dittli. Viele
Länder sind zudem ohnehin schon schwer belastet durch den Klimawandel, Kriege oder andere
Katastrophen wie beispielsweise die Heuschreckenplage in Nordafrika. Das Welternährungsprogramm der
Vereinten Nationen (WFP) befürchtet, dass zehn Millionen weitere Kinder von Mangelernährung betroffen
sein werden – ein Anstieg um 20 Prozent. Bekommen kleine Kinder zu wenig zu essen, führt dies häufig
schon nach kurzer Zeit zu irreversiblen Schäden oder gar zum Tod.
Bildung
Die
weltweiten Corona-Massnahmen haben dazu geführt, dass zeitweise mehr als 90 Prozent aller Schüler zu
Hause bleiben mussten. „Anstatt zu Hause zu lernen, müssen viele dieser Kinder wieder auf dem Feld
oder im Familiengeschäft mitanpacken“, sagt Dittli. Je länger diese Situation andauert, desto
wahrscheinlicher ist es, dass ein Kind, seine Ausbildung nie wieder aufnimmt. Vor der Krise gingen neun
Prozent aller Kinder weltweit nicht zur Schule. „Wir befürchten, dass diese Zahl wieder steigen wird.
Insbesondere Mädchen sind gefährdet, da es sie meist zuerst trifft, wenn die Familie sich den
Schulbesuch nicht mehr leisten kann“, so Dittli.
Kindersterblichkeit
„Wenn Eltern kein Geld
für Medizin und Hygienemittel mehr haben und gleichzeitig die Gesundheitssysteme überlastet sind, ist
eine Zunahme der Kindersterblichkeit absehbar“, so Dittli. Konnte die Zahl der jährlichen Todesfälle bei
Kindern unter fünf Jahren seit 1990 von 12,7 Millionen auf rund 5,3 Millionen mehr als halbiert werden,
deuten aktuelle UN-Prognosen darauf hin, dass sie wieder ansteigen könnte. Vor der Coronakrise starben
täglich weltweit durchschnittlich 15.000 Kleinkinder unter fünf Jahren. Nun könnten es täglich rund 6.000
mehr sein. „Diese Todesfälle werden zu einem Grossteil auf das Konto von vermeidbaren Krankheiten wie
Durchfall gehen. Hierzulande unvorstellbar“, erklärt Dittli.
Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung
Auch das erklärte Ziel der Vereinten Nationen, bis 2030 alle Kinder vor Gewalt, Missbrauch und
Ausbeutung zu schützen, wird nach Befürchtungen von SOS-Kinderdorf nicht erreicht werden können – im
Gegenteil: „Wo Grossfamilien, auf engstem Raum zusammen wohnen, mit Arbeitslosigkeit und
Existenzängsten konfrontiert sind, beobachten wir seit Krisenbeginn einen Anstieg von häuslicher Gewalt“,
berichtet Erika Dittli. Auch ausbeuterische Kinderarbeit oder Zwangsehen würden zunehmen. „Vor der
Wahl die eigene Tochter hungern zu lassen oder zu verheiraten, entscheiden sich viele Eltern für
Letzteres“, erklärt Dittli.
Das Fazit der SOS-Programmleiterin: „Wenn wir als Menschheit bis 2030
einen Schritt vorwärts machen und uns nachhaltig von dieser Krise erholen wollen, müssen wir in die
nächste Generation investieren – in Bildung und die Unterstützung von Familien. Denn die Kinder von
heute werden darüber entscheiden, wie nachhaltig und krisenresistent unsere Zukunft sein wird.“
Medienkontakt:
Nathalie Rutz
Mediensprecherin Stiftung SOS-Kinderdorf Schweiz
Tel.: 031 979 60 64
E-Mail: nathalie.rutz@sos-kinderdorf.ch